Der Gedanke war schon seit ewiger Zeit in meinem Kopf, immer wieder dachte ich an die Machbarkeit, an die Sinnhaftigkeit, mit Hektor mal eine echte Tour in den Alpen zu veranstalten. Aus heutiger Sicht für viele völliger Blödsinn. Weil es doch viel einfacher geht. Aber es gibt hier auch andere Ansichten. Zum einen ist es das Gefühl der vollkommenen Ästhetik. Einfach, klar, unkompliziert, schön und das in Verbindung mit prächtiger Natur. Das Reduzieren auf das Jetzt, die Ehrfurcht auf das Kommende. Und zum anderen ist es das schon mal dagewesene. Die Berge sind nun mal nicht einfach, haben in früherer Zeit viel abverlangt. Und da half mir gedanklich wieder einmal der Anderl Heckmair, großer Alpinist und weitblickender Mensch. Von ihm las ich einmal, dass er zu einigen seiner Bergtouren mit dem Fahrrad gefahren ist. Mit komplettem Geraffel dabei. Damals gab es keine schneidigen Renner mit Gangschaltung. Schwere Böcke von fragwürdiger Qualität mit einem Gang. Aber dieses Fahrrad gab Heckmair überhaupt erst die Möglichkeit, zu seinen Bergabenteuern hin zu gelangen.
Und was kann eigentlich überhaupt passieren im schlimmsten Falle? Absteigen und schieben! Das wäre zwar eine kleine innere Niederlage, das Ego leicht gekränkt, aber kein Abbruch, kein Scheitern, einfach nur eine andere Fortbewegung. Noch nicht einmal langsamer. Auf einem vielbefahrenen Pass natürlich etwas erbärmlich, das sollte vermieden werden. Also sucht man machbare Übergänge und Ziele aus, möglichst wenig befahren oder sogar gesperrt für den Individualverkehr.
Und so wurde an diesem Samstag morgen, spontan beim Frühstück, diese Tour aus der Schublade gezogen, denn, natürlich, gab es schon lange diesen fertigen Plan. Ausgangspunkt sollte der Hochkrumbachsattel, manchmal auch Hochtannbergpass genannt, sein, am Fusse des Widdersteins, in herrlicher weitläufiger Landschaft gelegen. Über Warth sollte es dann hinüber nach Lech gehen und dann hoch zur Formarinalpe am Formarinsee über eine Mautstrasse. Und dann alles wieder retour. Machbar.
Der Tag war einfach herrlich mit blauestem Himmel, angenehmen Temperaturen, angenehm wenig Verkehr und angenehmen Menschen. Es waren alle glücklich und zufrieden, an so einem Tag in so einer schönen Landschaft sein zu dürfen. Der Anstieg zur Formarinalpe liegt im Lechquellengebirge mit seiner karstigen Kalkfelsenlandschaft und weckt Erinnerungen an südlichere Kalklandschaften. Manchmal meint man auch in Kanada zu sein, auch wenn ich noch nie da war. Aber so muss es da aussehen. Es lebe die Phantasie! Es ist eine Traumlandschaft, die einen dauerhaft einlullt und andächtig macht. Freundlich, ohne drückende Bergwände, viel Himmel, viel hell. Ab und zu drückt sich ein Linienbus vorbei, der uns ins Gras ausweichen lässt, denn es herrscht hier Buspendelverkehr zur Formarinalpe, von der man dann in bequemem Fussmarsch zur Freiburger Hütte und somit zum Formarinsee gelangt. Dieses Stück haben wir uns mit unseren filigranen Rädern nicht gegeben, denn ab der Alpe ist es ein Schotterweg, der weiterführt. Aber die Mengen an Fussgängern hätte mich dann sowieso davon abgehalten.
Aber die letzten Meter zur Alpe haben sich dann doch noch als alpine Herausforderung entwickelt. Die Steigung hat sich in den deutlich zweistelligen Bereich gewuchtet und da wird es eng für Hektor samt Reiter. Das ist der Grenzbereich. Das darf dann nicht allzu lange so weitergehen. Immer wieder mal eine Pause für den Kreislauf oder eben dann schieben. Doch Letzteres konnte durch geschickt gewählte Fotopausen vermieden werden. Nochmal aufgestiegen und weiter gedrückt. Die Strasse war leider etwas zu schmal für einen Zick-Zack-Aufstieg, welcher mich schon manches Mal vor dem Absteigen retten konnte, ging aber trotzdem gerade noch so.
Nach einer kurzen Pause, die eigentlich eine lange sein sollte auf der Formarinhütte, die dann jedoch nur für Gäste eines bestimmtes Lecher Hotels bestimmt war, ging es wieder retour in schnellem Ritt. Dabei kam es zu einem kleinen Zwischenfall, der die Bergrettung in Aktion treten lies. Zwei Mountainbiker hatten uns in extremem Tempo überholt und ich sah zumindest einen davon schon an der Front des Linienbusses kleben oder, alternativ, durch ein aufprallverhinderndes Ausweichmanöver zerschellt in den tiefen des Lechs liegen. Es kam jedoch anders, denn hinter der nächsten Kurve konnten wir in der Ferne zwei getrennt voneinander liegende Punkte erkennen, von denen sich einer schmerzhaft krümmte. Das war einer der Rattfahrer. Der andere Punkt war sein Ratt. Wir kamen als erste hinzu und konnten so den Zustand abfragen und überprüfen. Er musste wohl in einer der Kurven die Kontrolle über sein Fahrgerät verloren haben und schanzte über einen Stein, was zur Folge den Fahrer vom Fahrgerät trennte und beides weit voneinader entfernt zum liegen brachte. Der junge Mann schien sich ordentlich an der Hüfte verletzt zu haben, es war jedoch nichts sichtbar. Wir wollten die Rettung rufen, er wollte es nochmal probieren. Nachdem wir sicher eine viertel Stunde bei ihm blieben, entschied er sich auf’s Rad zu steigen, welches erstaunlicherweise nur eine herabgefallene Kette als Blessur davontrug, und abzufahren. Denn er war aus Zug, dem nächsten Ort. Seinem weiter unten sorgenvoll wartenden Kollegen gaben wir Bescheid. Und als wir dann ganz unten in Lech waren, rückte nun doch noch die Bergrettung aus. Alles Gute Junge!
Nach diesem nicht so schönen Erlebnis sind wir dann in Lech ins Café Gotthard eingekehrt, wo es leckeren Kuchen mit gutem Espresso, serviert durch freundliche Bedienung gab. Und so konnte der zweite Anstieg zurück auf den Hochtannbergpass in Angriff genommen werden. Im Grunde ist dieser nur auf den letzten paar hundert Metern ernsthaft steil, doch das Hochwuchten am ersten Anstieg des Tages hinterlässt Spuren und so war ich dann doch froh, wieder am Ausgangspunkt angekommen zu sein.
Es war ein herrlicher Tag mit einer herrlichen Radtour, die sicher einmal wiederholt wird, wenn sie nicht sogar ins jährliche Tourprogramm Aufnahme findet. Keine große Tortour, viel Freude, viel Ausblick, alles zwischen 1400 und knapp 1900m Höhe. Und meinerseits eine große Freude und Befriedigung an der Symbiose an Schönheit von Landschaft und Fahrgerät und der Einfachheit des Seins.
Super, da habt Ihr mal wieder alles richtig gemacht.
Und wie schon der oben erwähnte Anderl einst sagte: “Was zählt ist das Erlebnis”!
Ich kann es immer noch nicht fassen, was das für ein Traumtag war. Dieser stahlblaue Himmel, diese herrliche Landschaft die fast nach jeder Kurve noch schöner wurde, war fast nicht zum Aushalten. Ich musste ständig Selbstgespräche führen, wie schön das Ganze ist….auch die vollgefressenen Murmeltiere mussten wohl Selbstgespräche führen, auch wenn diese eher zur Warnung vor dem Feind dienten. So kurz vor dem Winterschlaf waren die so richtig dicke Brummer.
Ich war so im Flash und merkte kaum die Anstrengung. Jeden Moment habe ich in vollen Zügen genossen.
Es war einfach der perfekte Tag für diesen Ausflug nach Lech.
Suchtgefahr? Ja klar.
Oh Ihr Glücklichen – vor allem wenn man jetzt an den wolken- und regenverhangenen Himmel schaut! Wobei ich schon sagen muss: mit den Fotos kann etwas nicht stimmen! So einen pervers blauen Himmel gibt es nicht! Nachdem in der Vergangenheit schon öfters glaubhaft versichert wurde, dass Photoshop (Hä?-was ist das?) nicht eingesetzt wird, bleibt nur noch ein Defekt am Fotogerät bzw. Smartphone übrig 😉
Mit dem Singlespeeder ins Hochgebirge – das kann auch nur den wahnwitzigsten Radnerds einfallen. Wenn ich nur dran denke brennen schon meine Oberschenkel und drücken die Kniescheiben! Aber um eines beneide ich dich da auf alle Fälle: um den minimalen Pflegeaufwand! Auch wenn sich das jetzt total obskur liest: jedes Mal wenn ich Bilder von Hektor sehe, denke ich sofort daran, dass es dort weniger zu putzen gibt. Keine ölverschmierten Kettenblätter, keine versifften und quietschenden Kettenleitröllchen, keine eingeschmodderten Ritzel. Während ich noch putze, bist du schon wieder am Fahren. Ich hasse es! (Und beraube mich jetzt bitte nicht dieser Illusion – ich brauche Feindbilder und möchte mich selbst bemitleiden!)
P.S.: schöner Bericht und traumhafte Bilder 😉
Vielen Dank und wieder genau auf den Punkt gebracht mein lieber racing_fool! Es gibt tatsächlich keinen Schmodder am Rad und man kommt wirklich überall hin zum butze. Ich habe es auch so gehasst diesen zähen Schleim vom Kettenantrieb zu erfernen, was ja praktisch nicht möglich ist. Deshalb habe ich ja auch jedes Rad nach eingetretener Verschmodderung verkauft. Der Antriebsstrang lässt sich einfach nicht komplett sauber machen. Und bei jeder Berührung mit dem Rad, speziell beim be- und entladen aus dem Auto, ist man irgendwo versaut und kann sich komplett neu einkleiden 😉 Nein, es nervt einfach und ich hasse es auch.
Mit dem Riemen ist wirklich nirgends mehr ernstzunehmender Dreck. Bisschen an den Naben und am Freilauf. Wegwischen, feddich. Nach jeder Tour gehe ich mit einem sauberen Lappen und einen Rotz Spucke, alternativ auch einen Tropfen Wasser, über Hektor und schwupps glänzt er wieder wie neu 🙂 Das ist ein Traum! Und du kannst einfach überall hingreifen, sogar auf den Riemen, alles sauber!
Winterprojekt racing_fool —> Riemenratt!
lieber racing_fool, du solltest mal sehen, wie nach jeder, aber wirklich jeder Ausfahrt meine Wade aussschaut…..ich versteh das nicht, wie man sich so verschmieren kann. Ich bekomme diesen Schmodder immer kaum von der Wade abgerubbelt. Nein, ich fahre nicht, wenn ich alleine unterwegs bin, heimlich mit dem Hektor. Hahaha, das brauchst du nicht mal zu denken, niemals würde das gehen, ohne dass Herr Cook dies bemerken würde.
Wie ich das jemals schaffe, eine Ausfahrt ohne Tattoo an der Wade? Ein anderes Rad? Im Moment eher nicht.
Hmm, liebe Yvo, ein in der Tat ernsthaftes Problem
Ich sehe drei Lösungsansätze;
1. Die auf unserem alten Blog von mir verlinkte Methode zur ultimativen Kettenpflege vom leider verstorbenen Bike-Papst Sheldown Brown: https://www.sheldonbrown.com/chainclean.html . Natürlich etwas aufwändig. Aber da dein Mann ja dank Riemenantrieb Zeit im Überfluss hat, könntest du das auch an ihn outsourcen.
2. Einen einteiligen SCHWARZEN Zeitfahranzug mit langen Armen und Beinen (in Fachkreisen auch als Blutwurstpelle bekannt). Wäre gleichzeitig passend zu deinem Rennrad und ein wunderbarer sportlich dynamischer Kontrast zu deinem eher im old-style/slow-drive Look auftretenden Begleitfahrer. Das würde euch übrigens auch vollends zu Ikonen der Radtourenszene machen. Bitte sendet Bilder, sobald ihr es umgesetzt habt!
3. Schei… drauf und steh dazu 🙂 in meinem ehemaligen Verein wurde das immer (abfällig) als Hobbyfahrer-Tatoo bezeichnet. Aber was gibt es schöneres als dieses unser Hobby und wenn man es auch noch offen zur Schau trägt!
Lieber racing_fool,
ich glaube, Punkt drei entspricht eher meinem Typ.
Heute war es ganz übel, gleich drei Tattoos auf der Wade. So ist es halt
Liebe Yvo,
wie gesagt: nimm’s gelassen 🙂 Peinlich? wird’s erst wenn du auch Tatoos auf der linken Wade hast (ich kenne Leute, die das regelmäßig schaffen – ohne Namensnennung hier) 😀 Ansonsten ein Geheimtipp aus meiner neuen Erfahrungswelt: Reise-Baby-Feuchttücher vollbringen unterwegs wahre Wunder! Keine Ahnung was da drin ist – aber es ist stärker als der stärkste Kettenentfetter und löst doch nicht die Haut auf …