Basso

Es war wirklich Liebe auf den ersten Blick. Jahrelang, fast schon jahrzehntelang wartete ich auf einen emotionalen Impuls um mir ein neues Rennrad zu kaufen. Ich fand sie alle hässlich. Mein altgedientes Breezer Venturi, damals Mitte der 1990er mit dem aus dem Mountainbikedesign angelehnten, gesloptem, also zum Sitzrohr abfallenden Oberrohr ausgestattet und daher traditionsbrechend, fand ich immer noch schöner als die ganzen aktuellen Renner. Allerdings war ich kaum noch mit dem Breezer unterwegs, denn die Technik war einfach alt. Felgenbremsen auf Mavic S.U.P. Keramikflanken waren, besonders wenn man einmal gescheite Scheibenbremsen am MTB gewohnt war, nicht mehr besonders vertrauensvoll, speziell bei Nässe, wo eine Bremswirkung erst nach kurzen Sekunden der Panik eintreffen sollte und es eventuell schon zu spät für ein gesundes Weiterleben sein könnte.

Basso Venta Disc -Purple Edition- am Hafen von Luino in freudiger Erwartung

Durch die recht üppige heimische Fahrradherde konnte doch auf mindestens genauso schöne, aber wesentlich geschmeidiger zu fahrende Alternativen zurückgegriffen werden. Hinzu kam, dass die Eingangräder in puncto schlichtes und aufgeräumtes Design dem Breezer doch tatsächlich ästhetisch überlegen sind. In meiner Sichtweise. Doch dann kam das Basso ins Blickfeld. Ganz harmlos stand es da, als ein Herdenmitglied einer besonderen Auffrischung durch Profis bedurfte und ich es demzufolge in die heiligen Hallen eines exzellent sortierten Radsportladens schob.

Es war kein wirklicher Bedarf vorhanden, aber sofort hat es mich angesprungen. Klassische Optik, dunkles Blaumetallic, hin zu schwarz oder violett changierend. Was für eine Lackierkunst! Dazu diese aufgeräumte Optik durch Scheibenbremsen. Keine Züge oder Bremszangen im Blickfeld. Und dazu noch dieser italienische Pluspunkt bei Rennrädern. Manufakturen, die nur Rennräder bauen. Keine Mountainbikes, keine Trekkingbikes, keine Citybikes, keine Massenware. Vielleicht noch ein Querfeldeinrad oder Gravelbike. Klare Positionierung. Klares Statement.

Ein Tag am Meer! Oder am See, egal. Rennradfahren in seiner schönsten und reinsten Form, weil in friedlicher und beruhigender Landschaft.

Kurzum, das Rad musste gekauft werden. Es ging nicht anders, der ganze Kosmos hat sich auf diese Konstellation fokussiert. Es musste einfach so sein. Rationale Argumente, die in früheren Zeiten gegen den Kauf italienischer Rennräder sprachen, waren Makulatur. Das Basso war einfach zu schön. Denn einer dieser Gegenargumente war und ist das Gewicht. Die Italiener predigten immer wieder das Wort von der Geometrie. Der Rahmen mit seiner Geometrie sei entscheidend, nicht sein Gewicht oder das Gewicht des ganzes Fahrrades. Ein perfekt gestalteter Rahmen macht das Rad. Das Gewicht sei zweitrangig. Nun gut dachte ich einst, die können halt nicht Leichtbau, dann musst du dir was anders ausdenken als Ausrede. Aber nun bin ich geläutert. Das Basso Venta wiegt voll aufgerödelt mit Pedale und Tacho satte 9,3kg. Liegt größtenteils an den Läufrädern plus den fetten 30mm Reifen. Aber das lass ich erst mal so, denn sie bieten extremen Komfort. Tuningpotential en masse.

Das Basso taucht auf und sofort wird es von Fans belagert (hier am rechten Bildrand die ersten Begutachter)

Aber da ist dieser Drang nach vorne, wie ich ihn noch bei keinem Rad hatte. Man hat das Gefühl, dass der kleinste Impuls in Vortrieb umgesetzt wird. Das wird einem sofort klar, wenn man unterwegs die Räder tauscht. Jedem wird das sofort klar. Das Basso fasziniert. Das ist also gemeint bei den Italienern, wenn sie von Geometrie sprechen.

Und so wurde das sonnige Faschingswochenende genutzt, um der neuen Liebe seine Heimat zu zeigen und an den Lago Maggiore zu fahren, um dort ein paar Runden zu drehen. Was für ein Traum waren diese paar Tage, an denen auch der Luganer See besucht wurde. Gleichzeitig wurde mein hartnäckiges Lago-Trauma beseitigt, denn seit frühesten Motorradtagen schon, waren Ausflüge in diese Ecke Italiens stets von Dauerregen begleitet oder es schneite bis in die untersten Regionen oder man traf auf unfreundlichste Zeitgenossen, die einem einen freudigen Tag nicht gönnen mochten. Doch diesmal war alles anders und verkehrte ins Gegenteil. Sonnenschein, Wärme, freundliche Menschen. Wie alt muss man eigentlich werden, um jahrtausendalte Vorurteile zu sprengen?

Morgenstimmung über Luino – da möchte man nie mehr weg…

7 Gedanken zu „Basso“

  1. Ich kann es auch bestätigen, das Basso ist soooo wunderschön. Eigentlich ist es ein Chamäleon, es ändert, vielleicht auch je nach Stimmung, seine Farbe. Unglaublich, Mal wirkt es violett, Mal blau, Mal fast schwarz…nur mit den Augen kann es nicht rollen, aber egal, ich bin einfach ein klein wenig neidisch. Man schaut es einfach gerne an.

  2. Unweigerlich stellt sich mir die Frage, ob sich die Morgenstimmung über Luino farblich an das Basso angepasst hat oder ob es umgekehrt war 😉
    Egal, in jedem Fall ein wunderschönes Fahrrad, Glückwunsch dazu!

    Beim nächsten Ausflug nach Italien, will es dann aber sicher auch selber über die Alpenpässe in die Heimat rollen…

    1. Vielen Dank mein lieber Klausi!
      Da bei der Entscheidung bereits die kosmische Mitarbeit erwähnt wurde, hat dieselbe an jenem Morgen, quasi als Verneigung, die Farben des Objekts in die umgebende Landschaft hineinprojiziert. Ich bin sowieso jeden Morgen vor freudiger Erwartung mit dem ersten Dämmern aufgewacht und habe den Tag vom ersten Moment an eingesogen 🙂

  3. Dann nochmals auf dieser Plattform die allerherzlichsten Glückwünsche zum Nachwuchs 🙂
    Auf Strava konnte man ja bereits sehen, dass das neue Familienmitglied vollwertig integriert wurde, wenn nicht sogar total im Mittelpunkt steht. 🙂 wünsche allzeit platten- und klapperfreie Touren.

    Du wärst sicherlich enttäuscht, wenn ich nicht noch ein „aber“ hätte 😉 war dieses Mal wirklich schwer, da stimmt eigentlich alles, sogar beim Flaschenhalter hat der Bub hier mal nicht danebengegriffen! Aber nach wochenlangem Grübeln ist mir doch noch ein Makel eingefallen – wobei der eher an den Hersteller geht: wie kann ein ur-italienischer Hersteller seine Räder mit nicht-italienischen Gruppen ausstatten? Das grenzt ja schon an Landesverrat!

    1. Mein lieber Herr racing_fool, zuerst einmal ganz herzlichen Dank für die Glückwünsche und die kompetente Einschätzung der Wahrheit 😉
      Natürlich hätte ich bereits jetzt den rattspochtlichen Olymp erreicht, wäre das Basso mit ehrwürdigen Campa-Teilen ausgestattet. Nur leider lies das mein nur spärlich befüllter Geldbeutel nicht weiter zu. Dies ist für Basso-Käufer des gehobenen Segments vorbehalten. Dafür darf ich täglich zu jeder Zeit das wunderschöne hochglanzpolierte Original-Oldschool-Shortcage-Record-Schaltwerk meines Nachbarn im Fahrradraum bewundern. Das muss für ein Mitglied aus der “struggling-for-life”-Bevölkerungsgruppe ausreichen.

      1. A propos Fahrradraum: Kann es sein, dass es sich hierbei um einen Raum mit Gummiwänden handelt, der sich der immer größer werdenden Herde dynamisch anpasst? Oder wurde das Wohnzimmer mittlerweile zugunsten einer permanenten Fahrrad-Ausstellung in den Keller verlegt?
        Und dann muss ich natürlich noch eine Sache loswerden (war ja klar): Faschingsurlaub hat man in Bayern, in Südbaden hat man Fasnetsurlaub – und den hat man eigentlich nicht zum biken! Aber in diesem besonders schönen Fall, will ich mal großzügig darüber hinweg sehen…

        1. Werte Dame,
          Ad 1: In den Tiefen des alten Brauereihotels gibt es unendliche Kapazitäten zum Abstellen meiner kleinen Freunde. Die Wohnung selbst dient nur denjenigen als vorübergehende Bleibe, welche ich stehts in bewundernder Betrachtung haben möchte.
          Ad 2: Ich habe mich schon gewundert, dass Klausi nicht schon in den ausgelegten Köder biss. In deiner Hauptstadt, welche großartige, tolerante Menschen hervorzubringen scheint und den Norden mit dem Süden des Landes verschmelzen mag, ist beides erlaubt, wobei der Fasching fröhlicher, die Fassnacht (mit Doppel-S) förmlicher und die Fasnet als hinterwäldlerisch empfunden wird. In meiner Prägungsphase hat sich der Fasching etabliert und möchte hier verteidigt werden 🙂

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert