Vorwort: Blog Artikel haben ja normalerweise den Anspruch der Aktualität eines Tagebuchs. Aus verschiedenen Gründen kann ich diesem Anspruch nicht mehr gerecht werden. Der Zeitpunkt der Handlungen in meinen Beiträgen wird sich also in der Regel nicht mehr bestimmen lassen und “letztes Wochenende” könnte auch vor 3 Monaten stattgefunden haben …
Mit “Carpe Diem” konnte ich früher nie so richtig etwas anfangen. Das hörte sich für mich immer so nach mahnendem Zeigefinger in Richtung der Prokrastinierer an, den Tag mit etwas “Sinnvollem” zu verbringen. Ein paar Jahre und ein Kind später sieht man das als Vater mit knappem Freizeitbudget doch etwas anders. “Nutze die Gelegenheit, bevor sie schon wieder vorbei ist” ist jetzt meine persönliche Interpretation dieses Mottos. Und so eine Gelegenheit bot sich gleich als Doppelpackung am letzten Wochenende. Zum ersten Mal seit langem wieder den ganzen Tag auf dem Rad sitzen können, bis die Oberschenkel brennen und die Sitzbeinhöcker glühen! YEAH! An irgendeinem Winterabend hatte ich versucht, sämtliche mir bekannten und noch ein paar unbekannte Trails im Stromberggebiet zu einer halbwegs sinnvollen Runde zu verbinden – etwas was ich sehr gerne mache, wenn es draußen Katzen hagelt und die Sehnsucht nach sonnigen Bike-Tagen sehr groß ist. Irgendwann standen dann 110km und mehr als 1600 Höhenmeter ach langem Herumgeklicke auf dem Bildschirm. Uff! Danach verschwand das ganze Projekt in irgendeiner virtuellen Schublade und wartete sehr, sehr lange auf seine Umsetzung.
Letzten Samstag war es dann endlich soweit! In unserem neuen Heimatort vermisse ich ja schon ein wenig die Nähe zum Northwood – aber ebenso freue ich mich über die “Griffweite” zum Stromberg-Heuchelberg-Naturpark. Und so konnte ich die Tour direkt von der Haustüre aus starten ohne lästige Autoanfahrt. Über die heimischen Äcker und Wiesen rollte ich in Richtung Enztal bei Niefern, um gleich die ersten Trails unter die Räder zu nehmen. Zunächst auf einem Höhentrail mit Panoramablick auf die Enz und danach die letzten Kilometer bis Mühlacker auf einem Pfad direkt am Enzufer. Der Stromberg wird im wesentlichen von 3 längeren Höhenzügen bestimmt (*), die für mich von der Ferne betrachtet immer ein wenig wie gestrandete Wale aussehen. Mein Plan war es, diese parallelen Höhenzüge jeweils immer ganz oben auf dem Bergrücken abzusurfen. Wie man später lesen wird, hatte jeder seinen eigenen Reiz und Charakteristik.
Der Kopf des ersten Wals liegt ungefähr bei Ensingen (ja, genau DAS mit dem bekannten Mineralwasser) und auf diesem Kopf thront die Burgruine Eselsburg – in neueren Zeiten an Sonntagen bewirtschaftet durch den schwäbischen Albverein. Die Auffahrt gestaltete sich wenig effizient aber sehr kräftesparend als Zick-zack durch die Weinberge. Eine kurze Rast an der einsamen Ruine und gleich ging es auf den ersten Trail. Die letzte Befahrung lag für mich schon Ewigkeiten zurück und ich hatte (vielleicht zum Glück) ganz vergessen, was für eine furiose Achterbahn dieser Trail ist. Von wegen und so ebener Flow Trail! Dank kreuzender Hohlwege durfte ich mehrmals in den Genuss von Halfpipe Feeling kommen – die steilen Abfahrten waren da weniger die Herausforderung als die folgenden ebenso steilen Anstiege. Reifen, Rad und Fahrer waren mehrmals hart an der Traktionsgrenze! Glücklicherweise “musste” ich zur Dokumentation meiner Tour dieses Mal mehrere Fotopausen einlegen und so konnte ich auch den Puls wieder in den Normbereich bewegen. Übrigens bietet dieser südlichste Wal als Grenze des Strombergs gleichzeitig einen wunderbaren Ausblick auf den nördlichen Schwarzwald.
Auf Höhe von Zaisersweiher rollte ich dann zufrieden, glücklich und nicht allzu angeschlagen von Wal Nummer 1 (hier liegt quasi die Schwanzflosse) und näherte mich dem mittleren der 3 Wal-Geschwister. Diesen kannte ich schon sehr gut aus vielen früheren Befahrungen. Sein Trailnetzwerk bietet zwar keinerlei technische Finessen aber dafür Flow in seiner reinsten Form. Die perfekte Erholung für Beine, Augen und andere Sinne. Den Spaß konnten auch ein paar wildgewordene Harvester nicht trüben, die Tage davor einen kleinen Teil des Trails in eine 2m breite (aber dafür nach Landeswaldgesetz nun konforme) Schneise verwandelt hatten. Ein besonderes optisches Schmankerl bietet der Füllmenbacher Hofberg (oberhalb des gleichnamigen Anwesens) – um mal bei der Analogie zu bleiben: hier hat sich unser Wal-Freund brav auf die Seite gelegt und streckt seine Brustflosse zur Seite raus, auf die man ganz bequem hinausfahren kann. Der Anblick, der sich von diesem Plateau bietet, fasziniert mich jedes Mal aufs Neue. Ich kann mich noch sehr gut an das erste Mal erinnern, als ich hier oben stand und komplett meine (optische) Orientierung verloren hatte. Sicherlich wusste ich, wo ich grob sein musste, aber in dem Panorama gab es überhaupt keine zivilisatorischen Landmarken wie Orte oder Straßen zu sehen. Anders formuliert: das was man von dort oben sehen kann, weicht maximal von dem ab, was man vorher nach Studium der Landkarte erwartet hatte zu sehen!
Der 3.Walrücken steht unter dem Motto: „Auf zu historischen Stätten“ – was man schon alleine an den Namen der befahrenen Wegpunkte erkennen kann: Rittersprung-Trail, Sandbauernweg, Burg Sternenfels, Eppinger Linie, …
Schon frühere Befahrungen des Gebiets habe ich meistens zuhause mit sehr langen Wikipedia-Sitzungen nachgearbeitet. Angestachelt von kleinen Gedenksteinen neben den Wegen, wollte ich immer wissen, wer sich hier wann mit wem und weshalb die Köpfe eingeschlagen hat. Überhaupt ist der gesamte Kraichgau eine einzige faszinierende Reise zu unseren Vorfahren – aber das ist schon fast einen eigenen Artikel wert 😉
So wie mir gerade hier beim Schreiben etwas die Puste ausgeht, fühlte ich mich auf den Walkilometern Richtung Westen – weniger körperlich, aber irgendwie im Kopf schon leicht matschig vor lauten kleinen Pfaden. Nur für den Rittersprung Trail kurz vor Sternenfels riss ich mich noch einmal zusammen – dieser ist einfach zu schön, um ihn gerade so an einem vorübergehen zu lassen. Nichts Spektakuläres, aber auch nicht 0-8-15. Ein feines Pfädlein mit dem ein oder anderen Kabinettstückchen. Auch ein Stück Nostalgie für mich, weil dieser Weg meine erste große Trailliebe war. HACH!
Die Sonne senkte sich schon deutlich Richtung Horizont, als ich endlich aus dem Wald wieder herausfuhr. Auf einer gemütlichen Bank mit herrlichem Blick auf den Northwood gönnte ich mir ein letztes Vesper, bevor ich die letzten 20km Heimweg antrat – überwiegend auf geteerten Wegen – meine Tagesration an Trails hatte ich definitiv schon überschritten.
Fazit: Ich war und bin soooo glücklich, dass ich dieses Vorhaben tatsächlich endlich umgesetzt habe – entgegen all meiner Zweifel, ob ich das überhaupt noch packe. „Früher“ ™ wäre das fast schon samstägliche Normalität gewesen, jetzt war es auf alle Fälle ein ganz außergewöhnlicher Tag.
Große Wiederholungsgefahr!
(*) ohne Gewähr für geologische oder geographische Richtigkeit!
4 Gedanken zu „Carpe Diem – Teil 1“